Am Weihnachtsabend

Es war am Weihnachtsabend, letztes Jahr,
ein kalter Nord ging stöhnend durch die Gassen;
auf Feld und Flur lag weißer, weicher Schnee,
und wieder fing es leise an zu rieseln.
Hier blitzt ein Lichtschein auf und dort noch einer!
Und droben steigt jetzt Stern bei Stern herauf,
ein Lichterbaum, voll Majestät und Pracht.

Dort an der Ecke steht ein kleiner Kerl
in dünner Jacke, halb zeriss'nen Schuhen,
die steifgefrorenen Hände halten Besen,
mit denen ihn der Vater und die Mutter
hinausgesandt. Und wimmerd klingt das Stimmchen,
der Ton verweht im harten, kalten Nord!
Wer kauft heut' Besen, heut' am Weihnachtsabend!?
Da hellt sich jäh des Kindes Blick; denn dort
naht einer, den man fromm nennt in dem Orte.
„Der kauft!“ so denkt das Kind und hebt die Hände:
„Kauft Besen, Herr, die letzten sind's, das ich
den Hungernden daheim ein Brot kann kaufen!“
„Mach Platz!“ so herrscht der feine Mann es an.
„Was treibst du dich, am heil'gen Abend gar,
im Schnee herum! Geh! Mach dich fort! Geh heim!“
Und fester zieht den Pelz er, weiter eilend.
Das Kind steht starr und eine Träne rinnt ihm über die vergrämte Wange.

Da tippt eine Hand ihm leise auf die Schulter.
Im Arbeitskittel steht vor ihm ein Mann
und fragt den kleinen nach dem Preis der Besen.
Nur wen'ge Groschen gilt der Rest und doch –
Der Mann zählt zweimal, dreimal seine Heller.
Er hat nichts übrig, ach sein Lohn ist karg
und viel der Mündchen, die auf Speisen harren.
Und doch! Des Knaben Not sie geht im nah,
er sieht des Kleinen Tränen, weint sie mit
und grollend folgt sein Blick dem harten Manne,
der nah' ihm wohnt, im prunkenden Gemach,
der, reich und fromm, des Kindes Schmerz nicht fühlte.
Vom kargen Lohn kargt er die nöt'gen Groschen
und drückt dem Kind das Geld rasch in die Hand.
Froh springt der Kleine fort, und langsam geht
der Mann die Straße, in dem Arm die Besen.
Was soll er mit den Dingern? Hätte er
nicht Bess'res für die Seinen kaufen können?
Und doch, ihm ist um's Herz so leicht und wohl!

Da tönt des Nachbars Stimme an sein Ohr,
„Ihr handelt auch, Herr Nachbar, oder solls
ein Christkind für daheim sein, für die Mutter?“
Er kam zurück, im pelzverbrämten Rocke
und das Gesangbuch unter seinem Arme,
wohl auf dem Weg' zum Gotteshause, wo
des Chriskind's wird gedacht am heil'gen Abend.

Da schaut ins' Auge ihm der Arbeitsmann
und leise spricht er, aber ernst und fest:
„Die Besen kauft ich einem Kinde ab,
das halb vom Frost erstarrt stand an der Ecke;
und könnt' ich, Herr, ich würde mit den Besen
an diesem Abend aus der Christenheit
mit Freuden fegen alle Heuchelei
und alles hohle, falsche Christenwesen!“

Leicht hüstelnd ging der fromm Mann von dannen.
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Aus: "Landauf, landab!" (siehe "Quellen und Literatur" Nr. 4) Verfasser des Gedichtes unbekannt