Die Belagerung der Weidelburg

(Von dieser Sage gibt es zwei Versionen die von L. Curtze im 17. Jh. zusammengetragen wurden. Hier wird die 2. Version wiedergegeben aber zum Verständnis sind die ersten Sätze aus der 1. Version (kursive Schrift) entliehen.)

Reinhard von Dalwigk, der „Ungeborene“, war ein ebenso tapferer als stolzer Ritter. Er lebte wie ein kleiner Fürst. Seine Rauflust und ewigen Fehden, auch Raub und Plünderungen, die man ihm zur Last legte, hatte ihm die Ungnade seines Fürsten, des Landgrafen Ludwig des Friedsamen, zugezogen, welcher seine Vasallen aufbot und den Ritter in seinem Schlosse Weidelberg belagerte. Der Ritter hatte endlich eingesehen, dass jede Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang der Belagerung für ihn verloren war. Da ging seine Hausfrau, die schöne Agnes, hinunter in das feindliche Lager und ließ sich vor den Landgrafen führen. Weinend fiel sie ihm zu Füßen und bat um Gnade. Der Landgraf war hocherzürnt und wollte durchaus, dass der Ritte sich ihm zum Gefangenen stelle; doch rührten ihn die Tränen des Weibes und er sprach: „Ob(wohl) er sich gleich fest vorgenommen, nicht einen Hund auf dem Schlosse leben zu lassen, so solle ihr doch samt ihren Jungfrauen und Mägden vergönnt sein, mit Allem was Jedem lieb sei und sie tragen könnten, frei von dannen zu gehen. Der Junker aber und die Mannspersonen sollten bis auf weitern Bescheid droben verziehen (verweilen). Dessen (dafür) setzte der Landgraf ihr sein fürstliches Wort zum Pfande. Sie eilte nach der Burg zurück, nahm ihren Eheherrn auf den Rücken, indes ihre Jungfrauen sich mit ihren besten Kleidern und Kleinodien beluden und so zogen sie ab. Wie das der Landgraf sah, meinte er, des Junkers Abzug habe nicht in seiner Zusage gelegen. Agnes erwiderte jedoch: „Was würde mir Anderes lieb und kostbar sein, wenn ich meinen Herrn hinter mir in Todesgefahr wüsste? Ihr habt mir erlaubt, mitzunehmen, was mir das liebste sei. Darum habe ich meinen teuersten Schatz genommen.“ Solche Treue und Liebe brach des Landgrafen Zorn und er ließ sie ziehen.
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Aus: "Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck" von Louis Curtze, erschienen im Verlag A. Speyer, Arolsen 1860