Die Wichtel von Schloss Waldeck

An klaren Abenden erblickt man von der Galgenhecke, vom höchsten Hügel des Waldecker Berges, fern im Südosten über’m blauen Saume der Ederberge die Zinnen einer grauen Burg und sieht beim Sinken der Sonne in roten Gluten ihre Fenster brennen: es ist Schloss Waldeck, die alte Stammburg unseres Fürstenhauses.

Wohl ein Jahrtausend mag verflossen sein, seit ihr Erbauer mit den Hollen, dem Zwergenvolke, das in den Ederbergen, besonders aber tiefinnen im Schlossfelsen hauste, über den Burgbau einen Vertrag abschloss. Der Graf von Waldeck versprach Eck *), dem mächtigen Herrscher der Ederzwerge, die Bergestiefen unter seinem Schlosse für alle Zeiten zu sicherem Besitz, zu einer ungestörten Heimstatt, wo die Hollen unter Schutz und Hut der Grafenburg in Frieden hausen sollen, so lange es ihnen beliebt. Dagegen verpflichtete sich der Zwergenherrscher, die Grundmauern der Burg so felsenfest zu erbauen und verfugen zu lassen, dass das Schloss niemals sinken und fallen kann. Zugleich gelobte Eck, in seinem Reiche nach Kräften alles Recht zu hüten und alles Unrecht zu sühnen.

Der Eingang zum unterirdischen Zwergenschlosse liegt hinter dem großen Felsen, dem Treustein, von dem die Sage geht, dass er den letzten Schlossherrn von Waldeck unter seiner Last und Masse begraben würde. Auf dem Treustein halten die Zwerge oftmals zur Mitternachtsstunde ihre Zusammenkunft.
Beim Heimgange eines waldeckischen Grafen oder Fürsten schlägt Eck mit seinem funkelnden Hammer aus Edergold dreimal auf den Felsen. Dann wird’s im Nachtdunkel an allen Hügeln und Hängen der Eder lebendig. Zahllose Lichtchen blitzen auf, wie Glühwürmchen, die im Funkenflug durch die Sommernächte schwärmen und schwirren. Es sind die Leuchten der Hollen, die von allen Bergen her Schloss Waldeck zueilen, um ihrem seligen Herrn das Totenamt zu halten. Weithin hellt dann der Schein ihrer Lichtchen das dunkle Edertal. Die Gedächtnisfeier zu Ehren des Entschlafenen beginnt, eine wundersame Stunde im dunkeln Schweigen der Nacht. Nur aus dem Tale herauf klingt leises Wellenrauschen. Lange, lange redet Eck zur lautlos lauschenden Schar. Wenn er am Ende ist, schwören die Hollen ihrem neuen Herrn den Treueid, und nach dem Arolser Schlosse hingewandt, rufen sie alle:

„Sei stets in edlem Streben
Den hohen Ahnen gleich,
So wird, o Herr, dein Leben
An Glück und Liebe reich“.

Und wieder klingt dann Ecks Goldhammer dreimal auf den Felsen nieder. Die Lichtchen der Hollen huschen auseinander. Eilig suchen sie wieder die Bergestiefen, ihre Wohnungen auf, ein unzähliges Gewimmel.

Auch eine Blume hüten und hegen die Zwerge, die einen schwarzen Stängel, rote Blüten und goldene Blätter hat. Sie wächst in tiefer Waldeinsamkeit und wird unsichtbar, sowie eine Menschenhand sich nach ihr ausstreckt. Nur wenige haben sie gesehen; aber wer auch nur im Vorübergehen ihren Duft geatmet hat, den treibt Heimatsehnen sein Leben lang. Oft geht durch die tiefe Waldesstille ein heimliches Singen und Klingen und Sonntagskinder erlauschen wohl einmal ein leises zauberisches Lied:

„Es hegen die Zwerge ein Blümelein
Im Schoße der Berge, gar selten und fein.
Schwarzzweiglein, rote Blüten und Blätter von Gold
Ein Blühen und Duften gar wonnig und hold.
Wes Seele träumend den Würzruch trank,
Den macht ein Sehnen, ein Heimweh krank;
Dem wird in der Fremde das Herz so schwer,
Wie Heimruf winkt’s ihm aus Fernen her.
Leis’ locken die Glocken der Jugendzeit,
Und Spiele und Lieder, verklungen so weit,
Und Wälderrauschen und Quellensang,
Die traute Hütte am Bergeshang:
Komm wieder zum Dörfchen im Flurengrund,
Wirst im Heimatfrieden froh und gesund“.

*) Eck - Der oberste der Ederzwerge - (siehe hierzu auch: Übersetzungsfehler von einer alten Schrift [Klick])