Über Feierabend

Durch das Ederdorf klang das Dengeln der Sensen. Von den Wiesen herüber kam der würzige Duft des gemähten Heus. Vom Turme herab verklang der letzte Ton der Abendglocke. Auf der Holzbank vor dem Häuschen nahe der Eder saß ein Alter. Er hielt die zerwetterte Mütze vors Gesicht, versunken ins Abendgebet. Nach dem letzten Glockenklang stülpte der Alte die Mütze aufs kahle Haupt und ein verwittert Gesicht kam zum Vorschein. Es war von Runzeln bedeckt; aber um die dünnen Lippen spielte ein Zug von lichtem Humor. Der Alte, den die Kinder alle Onkel Wellem, die Großen Hamms Wellem nannten, zog seine Maserpfeife aus dem zerschlissenen Kamisol, klopfte den Kopf am Rande der Bank aus, stopfte, schlug Feuer, legte den glimmenden Zunder auf den Tuwak, zog und sog, bis leichte Rauchwolken sich ringelten. Dann legte er sich an die Wand des Häuschens. Behaglich schaute er hinein in den dämmernden Abend, über Wiesen und Fluss und ragende Berge. Dann haftete der Blick auf dem Schwiegersohn, der einige Schritt von ihm die Sense dengelte und eben mit dem harten Daumen die Schärfe probierte, befriedigt nickte und die nun in Ordnung gebrachte Sense an den Holzhaken neben der Tür hing. Aus dem Hause war ein alt Weiblein getreten, hatte den Platz neben dem Alten säuberlich mit der Schürze abgewischt und sich niedergesetzt. In die niedere Tür trat die Tochter des Hauses, ein Kleines auf dem Arm, ein Größeres an der Hand. eine Drossel schlug. Feierabend. Der Pfad zwischen den Hecken vom Fluss herauf kam langsam ein junger Bursche, lehnte sich an den Türpfosten und blickte fragend um sich.

„Die Sophie ist noch in der Küche beschäftigt,“ sagte die junge Frau in der Tür, die den Blick aufgefangen. Der Alte sagte zu dem Neuangekommenen: „Du, Johannes, reich mir mal die Sense da vom Nagel.“ Liebevoll fuhr er über die glänzende Klinge, fuhr prüfend über die haarscharfe Schneide und nickte: „Die schafft's!“ Dann wandte er sich zu dem Mütterchen an seiner Seite: “Du, weißt du, was ich noch einmal möchte, Alte?“

„Nanu, das wäre?“
„Ach, noch einmal mähen möcht ich, mit den Jungen da in (um) die Wette, die sollten etwas erleben.“
„Dass glaub' ich wohl, aber du hast genug getan, Alter.“
„Ja,“ mischte sich der Schwiegersohn in das Gespräch, „der Vater war eibn Mäher, wie er im Buche steht, gelle.“
„Will's meinen,“ schmunzelte der Alte, „nahms mit jedem auf, selbst mit dem …
„Alter!“ fuhr das Mütterchen auf, „Alter, lass das!“ Und sie hielt ihm die Hand vor den Mund. Der Alte schob die schwache Hand leicht beiseite und lachte.
Aber der Besuch war neugierig geworden. Er rückte von dem Türpfosten etwas vor und sagte: „Selbst mit dem … mit wem nähmt ihr's noch auf?“
„Selbst mit dem Teufel!“ platzte Onkel Wellem heraus und ein feines Lächeln spielte um die welken Lippen.
Der Bursche war doch etwas zurückgefahren. Er stotterte: „Mit dem Teufel?“ Habt ihr mit dem Teufel gemäht?“
„Um die Wette, und habe die Wette gewonnen.“
„Erzählt!“
„Warum nicht?“ schmunzelte der Alte und setzte sich zurecht. Die Übrigen rückten näher heran. Und Onkel Wellem erzählte: „Ihr kennt ja alle die Ecke dort unten zwischen der Hünzeln- und der Jungfernburg, wo das Echo dreifach den Ruf zurückgibt. Wie manchmal habe ich da gestanden und gerufen, wenn ich im Mähen innehielt und die Sense strich! So wars wieder einmal. Ein taufrischer Sommermorgen. Ich war allein da draußen. Was rief man damals nicht alles in den Wald. Schönes und Hässliches. Und alles gab er getreu wieder zurück. Ich weiß nicht, wie mir diesmal das Wort auf die Zunge kam: „Sackerlot!“ rief ich in die Schlucht hinein. …
„Das war ein Fluch,“ stammelte die Alte und legte ihre Hand auf den Arm des Erzählers.
„Wohl,“ fuhr dieser fort, „wohl, aber wenns auch ein Fluch war, er kam dreimal zurück. Und „Sackerlöter!“ rief ich noch lauter. Das Echo war in den Bergen noch nicht verklungen, da raschelte es neben mir im Bursche, und da stand er …
„Wer?“ frug der Bursche am Türpfosten, und er fasste die Hand des jungen Mädchens, das leise zu ihm getreten war, fester, neigte sich hin zum Erzähler.
„ Wer .. nun .. der .. Teufel ….“
„Dem muss man aus dem Wege gehen, und du hattest ihn gerufen,“ seufzte die alte Frau.
„Der Teufel .. der Teufel selbst?“ staunte der Bursche.
„nun ja, gewiss, der Teufel selbst in eigener Person, und auf der Schulter trug er eine hölzerne Sense.“
„Eine … eine …
„Eine hölzerne Sense, Johannes, kannst es glauben. Und dann kam er heran und sagte: „Du hast mich gerufen, Wellem, was willst du von mir!“ „O, gar nichts,“ gab ich zur Antwort, „ich machte nur Spaß!“ „Na, na,“ sagte der Teufel, „ich bin nun einmal da, und da gelüstet es mich, mit dir einmal um die Wette zu mähen. Du bist's wohl zufrieden.“ - - - „Ich war's zufrieden und wetzte.““Um was ging die Wette?“ Nur um eins geht’s beim Teufel, das wusste ich und wetzte. Vor uns lag die große Wiese mit prächtigem Grase. Jetzt hieß es geschafft! Ich vorn, hinter mir der Teufel!“ - -
„Wie sah denn der aus?“ Kaum atmete Sophie bei der Frage.
„Wie der aussah?“ Just nicht wie ein junger Freier, nackt war er, nackt, lang, hager und haarig, mit spitzigem Bockbart, Hörneransätzen und Schwanz. - - „
„Hör auf, Vater!“ stöhnte die Alte.
„Warum denn? Lass mich fertig erzählen. Also los gings. Ich vorn. Mächtig holte ich aus. Dick lagen die Schwaden. Hinter mir der Teufel. Seine hölzerne Sense schaffte nicht schlecht. Aber er blieb zurück. Da muß´te ich wetzen. Er kam näher. Sein Werkzeug schnitt ohne Wetzestein. So gings eine Stunde. Die Sonne stieg höher. Der Schweiß rann. Wohl merkte mein Gegner, dass er aufrückte, wenn ich den Wetzestein brauchte. Und listig sprach er oftmals: „Du, Wellem, klingle nochmal!“ Ich klingelte noch manchmal. Er kam nicht näher. Sein Atem ging, der meine auch. Noch eine kurze Strecke, dann lag die Wiese im Dampe. Zwei Schritte war er hinter mir, da holte ich noch ein paarmal mächtig aus. Es flutschte nur so. Links neben mir rauschte die hölzerne Sense. Da holte ich aus, noch einmal, zweimal, und war am Ende. Gewonnen! Einen Schritt nur war der Sackerlöter zurück. Ich ruhte mich nun, und er kratzte sich hinter den Ohren. -
Ein Aufatmen ging durch den Kreis der Zuhörer.
„Gelle, so war's Alte, ich hab' dirs doch gliech erzählt.“
Die Alte nickte, und schüttelte doch mit dem Kopfe.
„Und dann ging der Teufel seines Weges?“ frug Sophie. „Noch lange nicht, wir waren noch eine ganze Weile beisammen. So ein Mähen macht hungrig, und ich fing an zu acheln. Der Teufel hatte sich neben mich gesetzt und sah ärgerlich vor sich hin. Mit dem Schwanze wehrte er sich die Fliegen, die waren schlimm. Ich kehrte mich nicht an seinen Ärger. Aus dem Karnihl kam ein Stück Brot, eine schöne Runkel. Und dann ein Stück Speck, so schön durchwachsen, ist mir noch heute lieber als Schinken. Ich schnitt ab und reichte dem Teufel hinüber. „Puh!“ sagte der und rückte weiter fort. „Fleisch, das essen wir nicht, das gibt Hitze, und wir haben deren genug in der Hölle. Wir sind da Vegetarianer!“ „Dann nicht,“ sprach ich ruhig, „dann nicht, Freund. Der Speck gibt Kraft, ohne den mag ich nicht mähen, genießest du kein Fleisch, fehlt dir Saft und Kraft, wir habens eben erlebt. Ich griff in den Beutel und zog ein Fläschchen hervor, das die Alte mir sorgsam gefüllt. Den Kork ab, mit der Hand über den Hals, dann ein tiefer Zug. Wie das schmeckte und duftete! Mein Freund neben mir schnüffelte mit der Nase. „Was ist das?“ fragte er und rückte neugierig näher. Das ist ein Getränk aus Korn oder auch aus Kartoffeln, da, nimm einen Schluck! Er nahm die Flasche, roch, setzte ab, wieder an und tat einen Zug. „Puh!“ brüllte er und sprang auf. „Ein Höllengetränk; das wäre etwas für meine Großmutter! Die ist alt und kann doch nicht sterben. Das hülfe ihr über. Die Flasche musst du mir lassen.“ Er tat noch einen Zug. Das Zeug war er nicht gewohnt, es ging ihm ins Geblüt. Man konnte es merken. Er tanzte und sprang und schwenkte die Flasche. Da stolperte er über eine Wurzel, dicht bei meiner Sense, tat einen Brüll, fasste nach hinten, da fehlte etwas. Da stand nur ein Stumpf noch und neben dem Sensenblatt lag der übrige Schwanz - habe ihn dir gleich mitgebracht, Alte, gelle - -
"Ein Kälberschwanz wars,“ knurrte die Frau.
„Ja, das sagst du immer, aber du irrst. Du weißt doch, ich hing ihn in den Rauchfang zum Trocknen.“
„Ich sah ihn noch nicht,“ bemerkte der Schwiegersohn.
„Glaub's wohl,“ lachte der Alte verschmitzt, „glaub's wohl, als bei Nacht und Nebel ein Gewitter war, dass die Berge bebten, ist der Sackerlöter durch den Schornstein gefahren und hat das Ding wiedergeholt. Wann war's doch, Alte?“
„Ich weiß es nicht.“
„Aber der Teufel damals?“ frug der Bursche am Türpfosten, „was wurde mit dem?“
„Mit dem? Ja, so. Der fuhr mit Gebrüll und Gestank davon. Mit Gestank, Johannes, es roch, es roch man gerade wie die Zigarette, die du eben ansteckst.“
Der Bursche drücke dem jungen Mädchen flüchtig die Hand und wandte sich zum Gehen.
„Komm bald wieder,“ lachte der Alte, „ich kenne noch mehr solcher Geschichten.“ Johannes winkte ab.
Eine Fledermaus huschte vorbei, vom Walde herüber rief ein Uhu.
„Es ist genug, Alte, für heute,“ sprach Onkel Wellem, „wir wollen zur Ruhe gehen; noch einmal möchte ich mähen können wie damals!“ „Aufschneider, Sprüchtemacher! grollte die Alte, und griff dem Alten unter den Arm. Beide verschwanden im Hause. Aber die ganze Treppe hinauf kicherte Onkel Wellem still für sich hin.
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Text aus: Landauf, landab – Geschichte und Geschichten aus dem Waldecker Land, von Christian Fleischhauer